Resilienz

Resilienz

Michael Postzich

Wortbedeutung Resilienz: „Alles auf Anfang“

Das Wort Resilienz wird von dem lateinischen „resilire“ abgeleitet, wo es so viel wie „zurückspringen“ bedeutet. Im technischen Bereich bezeichnet dieses z.B. den Vorgang, wenn zusammengedrückte Federn in ihre Ausgangslange zurückspringen. In diesem Sinne bedeutet Resilienz, dass man von schwierigen Erlebnissen wieder zurückkommt in die gesunde und entspannte Ausgangsposition. Der Duden beschreibt Resilienz als „psychische Widerstandskraft; Fähigkeit, schwierige Lebenssituationen ohne anhaltende Beeinträchtigung zu überstehen“. Resilienz bezeichnet also, so kann man zunächst sagen, die Widerstandsfähigkeit gegen gesundheitsgefährdende Lebensbedingungen. Der Begriff Resilienz wird demnach in der Psychologie und Medizin zur Charakterisierung einer menschlichen „seelischen Widerstandskraft“ verwendet. Dies ist die Fähigkeit, psychische Gesundheit aufrechtzuerhalten oder wiederzugewinnen - während oder nach widrigen Lebensereignissen.

Die Kinder von Kauai - Die seelische Widerstandskraft

Zu Beginn der Resilienzforschung wurde beobachtet, wie Kinder trotz vieler Belastungen sich dennoch zu erfolgreichen Erwachsenen entwickelten. Eine der Pioniere in der Resilienzforschung, Emmy Werner, untersuchte über 40 Jahre knapp 700 Kinder, die 1955 auf der Hawaiianischen Insel Kauai geboren wurden.

30% der untersuchten Kinder wuchsen unter Armut, Vernachlässigung, Misshandlung oder einer schwere Erkrankung der Eltern auf. Trotz dieser Risiken entwickelte sich ein Drittel dieser Kinder positiv. Sie schlossen die Schule erfolgreich ab, waren in die Gemeinschaft eingebunden, gründeten Familien, arbeiteten und wurden nicht polizeilich auffällig.

Die Forscher schlossen daraus, dass Schicksalsschläge nicht unbedingt das weitere Leben stark beinträchtigen, sondern dass es etwas gibt, das Menschen bewahrt und stärkt: die Resilienz.

Bewältigung von Stress durch Energiequellen

Resilienz gilt allgemein als der Prozess der Anpassung an Widrigkeiten, Traumata, Tragödien, Bedrohungen oder bedeutende Stressquellen wie Familien- und Beziehungsprobleme, schwere Gesundheitsprobleme oder Arbeitsplatz- und Finanzstressoren.

Psychologie und Medizin charakterisieren mit Resilienz eine „seelische Widerstandskraft“. Die am häufigsten mit Schutzfaktoren in Verbindung gebrachten Konzepte sind Energiequellen wie  Lebenszufriedenheit, Optimismus, positive Gefühle, Selbstwirksamkeit, Selbstwert und soziale Unterstützung.

Die Konzepte Achtsamkeit und Mitgefühl können erheblich dazu beitragen, die wesentlichen Wirkfaktoren der Resilienz aufzunehmen und zu trainieren.

1+6 Die wichtigsten Merkmale der Resilienz

In der Resilienzforschung wurden schon sehr viele Fähigkeiten und Eigenschaften untersucht, denen man zutraute, dass sie Menschen gegen negative Einflüsse abschirmen können und die Gesundheit stabilisieren. Diese Untersuchungen sind auch sicherlich nicht abgeschlossen, sondern werden weitergehen. Aber inzwischen gibt es doch unter Wissenschaftlern eine zunehmende Übereinstimmung auf die Merkmale der Resilienz, deren Untersuchung erfolgsversprechend ist. Sieben davon werden im Folgenden kurz erläutert. Das erste Merkmal „Realistischer Optimismus“ wir inzwischen in vielen wissenschaftlichen Ansätzen favorisiert, aber auch die weitern 6 Faktoren sind in ihrer Bedeutung für die mentale und körperliche Gesundheit nicht zu unterschätzen.

Merkmal Nummer 1: Realistischer Optimismus

Die Grundhaltung „Realistischer Optimismus“ bedeutet eine positive Ergebniserwartung. Dieser positiven Denkhaltung kommt bei der Resilienzstärkung eine große Bedeutung zu. Dies ist also ein mentaler und damit sogenannter innerer Faktor. Er zählt in den der Forschung zu den sogenannten „Bewertungsmustern“, im englischen „Appraisal“ genannt.

Der Resilienzforscher Raffael Kalisch hält den Faktor des Optimismus dann für angemessen, wenn es nicht sicher ist, wie sich ein Ereignis oder eine Lebenssituation entwickeln wird. Das dürfte, wie die allgemeine Erfahrung zeigt, ziemlich häufig der Fall sein. Dann kann man mit einem guten Ende oder einem positiven Ergebnis rechnen, denn so reduziert man den Stress und bleibt handlungsfähig. Auf keinen Fall ist es dagegen günstig, pessimistisch zu sein, zu dramatisieren oder sogar zu „katastrophisieren“, also anzunehmen, dass alles sein schlimmstmögliches Ende nimmt und in einer Katastrophe endet.

Ein positiver Bewertungsstil, auch positiver Attributionsstil genannt, ermöglicht dadurch ein aktives Bewältigungsverhalten, da Misserfolge als veränderbar angesehen werden und bei Rückschlägen nicht sogleich aufgegeben wird.

Noch einmal Raffael Kalisch: „Es ist also immer alles ungewiss. Resiliente Menschen neigen in solchen Momenten der Ungewissheit eher dazu, den positiveren Ausgang der Situation anzunehmen. Meistens mit Erfolg. Der Verzicht auf unnötigen Stress erlaubt es ihnen, Freude zu erleben, sich neue Ressourcen zu erschließen und weiterzuentwickeln. Übererregung sowie Erschöpfung und Abnutzung durch wiederkehrenden Stress werden so vermieden.“

Der realistische Optimismus verbindet sich mit weiteren Faktoren, die zur Stärkung der Widerstandskraft erfolgversprechend sind. Von diesen Faktoren, die im folgenden dargestellt werden, erweist sich nach Einschätzung vieler Resilienzforscher die sogenannte Erwartung der Selbstwirksamkeit als besonders stärkend und damit auch stressreduzierend. Diese Denkmuster veranlasst Menschen, aktiv zu werden und den Verlauf der Ereignisse handelnd zu beeinflussen.

Die sechs weiteren Faktoren, die als stärkend gelten, sind sehr unterschiedlicher Art. Sie betreffen wiederum innere Einstellungen und Haltungen, aber auch Aktivitäten und Verhaltensweisen, für sich selbst und gemeinsam mit anderen Lösungen für Probleme und die Bewältigung  von Belastungen zu suchen.

Hier nun die 6 weiteren wichtigen Faktoren.

1 Aktiv werden

Aktiv werden bezieht sich auf mehrere Aspekte. Generell ist damit gemeint, seine Probleme nicht passiv zu ertragen, sondern Strategien zu entwickeln, um sie zu lösen. Wissenschaftlich wird das “Aktives Coping'' genannt. Diese Fähigkeit und Kompetenz ist ein gut belegter Resilienzfaktor. Dies ist eine aktive Bewältigung von Stress sowie kritischen oder traumatischen Lebensereignissen durch problemorientierte Lösungsstrategien. Daran beteiligt können Stressbewältigungsstrategien sein, durch die die psychischen und physischen Regenerationsfähigkeiten verbessert werden.

Körperliche Ansatzpunkte:  entweder Stressabbau durch

1. körperliche Aktivität (zum Beispiel Sport) oder

2. oder durch Entspannung (zum Beispiel Anwendung von Entspannungsverfahren).

Auch die Schulung von Achtsamkeit (zum Beispiel „im Hier und Jetzt sein“, „bewertungsfreie Wahrnehmung“) kann dazu beitragen, stressauslösende Faktoren bewusster wahrzunehmen, Überlastungen frühzeitig zu erkennen und diesen aktiv entgegenzusteuern - zum Beispiel sich die Zeit zu nehmen, eine kurze Pause einzulegen oder ganz bewusst ein Glas Wasser zu trinken.

2 Emotionen regulieren

Das Erlernen oder Anwenden hilfreicher Methoden zum Umgang mit Emotionen ist ein wesentlicher und wichtiger weiterer Bestandteil der Widerstandskraft. Dabei geht es zunächst um die Wahrnehmung von Gefühlen und deren Benennung.  Dies hilft schon als Erstes, damit  nicht der Eindruck entsteht, man sei seinen Emotionen und Stimmungen gegenüber hilflos.

Die zweite Methode ist die Überprüfung bestimmter Denkmuster. Ein sehr bekanntes Beispiel dafür ist, ob man eine neue Aufgabe als “Belastung” oder als “Herausforderung” bewertet. Dadurch wird natürlich die Aufgabe nicht zum Spaß, aber kann doch Ängste reduzieren und positive Erwartungen wecken, inklusive auch der Kräfte, die durch die Selbstwirksamkeit freigesetzt werden.

Die dritte Strategie ist die Akzeptanz der Gefühle, auch der nicht so erwünschten Stimmungen wie z.B. Traurigkeit oder Angst.  Dies ist ein zentraler Aspekt von Übungen zu Achtsamkeit und Mitgefühl.

Zur Wahrnehmung von Gefühlen im Zusammenhang mit Denkmustern und Aktivitäten ist beispielsweise das ABC-Schema ein gutes Instrument, das auch hier im Programm erklärt wird.

Achtsamkeitsübungen - zum Beispiel „Haltung eines inneren Beobachters einnehmen“ - stärken die neurobiologische Stressresistenz auch durch Akzeptanz von Emotionen.

3 Sinn im Leben

Menschen wollen verstehen, was ihnen passiert, sie wollen ihr Leben aktiv gestalten und sie suchen nach einem Sinn, auch wenn manches, was sie erleben, zunächst als Zufall oder Schicksal erscheint. Menschen brauchen Zuversicht und das daraus entstehende Gefühl, dass ihr Handeln für ihr eigenes Leben sinnvoll und verstehbar ist und die Anforderungen zu bewältigen sind.

Wissenschaftler nennen diese Art von Lebenssinn Kohärenz oder auch Kohärenzgefühl. Es  ist sicherlich ein Lebensgefühl. Warum es so wichtig ist und woraus es besteht, wurde unter „Ein Empfinden für Zusammenhänge“ schon dargestellt.

Sinn hat viel mit Werten und Leitvorstellungen zu tun. Man kann üben, sich bewusst zu machen, welche Werte im Leben wichtig sind. Das ist das erste. Und die zweite Überlegung sollte sein: Führe ich mein Leben diesen Werten entsprechend? Dann kann an einer adäquaten Ziel- und Lösungsorientierung gearbeitet werden – als Voraussetzung für ein sinnerfülltes Leben. Eine Empfehlung zu einer Übung: „Die Rede zum 80. Geburtstag“. .

4 Soziale Unterstützung

“Soziale Unterstützung” bedeutet, ein funktionierendes soziales Netzwerk zu haben. Auch das ist ist ein Schutzschild gegen Belastungen. Dieser Faktor ist mit einer der am besten untersuchten Einflussfaktoren auf die psychische und physische Gesundheit. Fehlt es an sozialer Unterstützung, haben die Betroffenen ein höheres Erkrankungs- und Sterberisiko.

Auch hier lassen sich vielfältige Ansatzpunkte finden, an dem eigenen sozialen Netz zu arbeiten, zum Beispiel mittels eines „Netzwerkchecks“ , bei dem man die Bereiche „Familie“, „Arbeit“, „Nachbarn/Vereinskollegen“ und „Freunde“ unter die Lupe nimmt und sich bewusst macht, auf wen man in diesen Bereichen zurückgreifen kann, wenn man Hilfe und Unterstützung benötigt.

Um gut für die Widrigkeiten des Lebens aufgestellt zu sein, sollte man mindestens in drei Bereichen Menschen haben, auf die man zählen kann.

5 Selbstwirksamkeitsüberzeugung

Eine Selbstwirksamkeitsüberzeugung ist das Vertrauen, Anforderungssituationen aus eigener Kraft bewältigen zu können. Die Selbstwirksamkeit besteht aus zwei Komponenten, der Kompetenz- und der Konsequenzerwartung.

Indem immer wieder eigene Fähigkeiten und Stärken sowie vergangene Erfolge und Leistungen bewusst gemacht werden -zum Beispiel Feedback bei Freunden einholen-, kann die Selbstwirksamkeitsüberzeugung verbessert werden und Stressoren als Herausforderungen und nicht als Bedrohung angesehen werden.

6 Positive Emotionen

Besonders einfach und zu jeder Zeit lässt sich am Resilienzfaktor „positive Emotionen“ arbeiten. Dies bedeutet, regelmäßig positive Gefühle und Stimmungen zu erleben. Positive Emotionen haben sowohl eine förderliche Wirkung auf mich selbst -meinen Körper und meine Psyche - als auch auf andere Menschen.

Sie sind wie eine psychische Auszeit, in der unser – bildlich gesprochen - Akku und unsere Kraft wieder aufgeladen werden können. Zusätzlich entfalten sie eine Art „Depotwirkung“, da wir jederzeit auf diese Ressource mittels Wachrufens schöner Erinnerungen zugreifen können.

Beim Training, sich über Alltägliches zu freuen, zum Beispiel ein Lächeln eines Mitmenschen, kann auch das Führen eines Tagebuches helfen, um den Blick für die schönen Begegnungen und Begebenheiten des Alltags zu schärfen. Auch das Aufhängen schöner, positiver Bilder am Arbeitsplatz oder auf der Krankenstation kann dazu beitragen, immer wieder positive Gefühle hervorzurufen.

Eine der wirksamsten positiven Emotionen ist “Dankbarkeit”. Dazu gibt es zahlreiche Übungen. Die Grundübung findet sich auch hier im Programm.

Quellen

Helmreich, Isabella; Kunzler, Angela; Lieb, Klaus (2016): Schutzschild gegen Stress. In: Im OP 06 (06), S. 270–274.

Kalisch, Raffael: Der resiliente Mensch. 4. Auflage. Piper. 2020